Islamwissenschaften

VI. Die Arten der Ähnlichkeit

[6/1: Die Ähnlichkeit]

Nun wird weiter die gedankliche Ähnlichkeit bald von einem Dinge abgezogen, so wie oben die Ähnlichkeit für das „Wort“ von der Süßigkeit des Honigs abgezogen wurde, bald von mehreren Dingen, und zwar in der Weise, dass sie zusammengenommen werden und dann aus dem Ganzen die Ähnlichkeit herausgeholt wird. Es ist dann so, wie wenn zwei Dinge so miteinander vermischt werden, dass eine neue Form entsteht, die anders ist als die, welche ihnen als einzelnen zu eigen war, nicht so, dass die Dinge zwar zusammengenommen werden, jedes aber seine Form behält.

Ein Beispiel dafür bietet der Koranvers: „Diejenigen, denen die Thora zum Tragen gegeben wurde, sie aber nicht getragen haben, sind wie ein Esel, der Bücher trägt“ (62/5). Die Ähnlichkeit ist hier von der Gesamtlage abgezogen, in der sich der Esel befindet, nämlich, dass er Bücher trägt, welche die Gefäße der Wissenschaften sind und in denen die Früchte der Verstandestätigkeit niedergelegt werden; sodann, dass er nicht merkt, was in ihnen steht, und von ihrem Inhalt nichts weiß und nicht imstande ist, zwischen ihnen und anderen Lasten, die mit Wissenschaft nichts zu tun haben und keinen Hinweis darauf enthalten, zu unterscheiden, so dass er von dem, was er trägt, nichts hat als dass es ihn belastet und seine Flanken ermüdet. Dies ist aber, wie du siehst, bedingt durch das Zusammennehmen mehrerer Momente und eine Folge von mehreren Dingen, die miteinander verbunden und verkoppelt sind. Das heißt: Damit die gewünschte Ähnlichkeit herauskommt, muss ein ganz bestimmtes Tun des Esels ins Auge gefasst werden, nämlich das Tragen; ferner muss die Last etwas bestimmtes sein, nämlich die Bücher, welche die Zeichensprache der Wissenschaft enthalten; dazu muss als Drittes kommen, dass der Esel von deren Inhalt nichts weiß. Jedes dieser drei Dinge führt für sich allein noch nicht zur Ähnlichkeit; man kann nicht etwa sagen, es liege ein Vergleich vor und dann ein zweiter, ohne dass der erste von dem zweiten abhängig wäre und der zweite in den ersten eingriffe. Denn die Ähnlichkeit knüpft sich nicht an das Tragen, solange es nicht ein Esel ist, der trägt, und auch nicht an das Tragen des Esels, solange nicht das Getragene aus Büchern besteht; und auch dies alles ergibt noch keine Ähnlichkeit, solange nicht noch dazukommt, dass der Esel die auf seinen Rücken geladenen Bücher nicht versteht. Solange man das Ganze nicht gleichsam als einen fortlaufenden Faden betrachtet, und solange die Teile nicht eine so innige Verbindung mit einander eingehen, dass man sie mit Dingen vergleichen kann, die so sehr zusammengemischt sind, dass sie zu einem werden, und die Möglichkeit aufhört, ihre Einzelformen zu erkennen, sondern vielmehr die vor der Mischung bestehenden Einzelformen aufgehoben werden, und eine eigene neue Form entsteht, die anders ist als diejenige, mit welcher man es vorher zu tun hatte, und ein Geschmack herauskommt, dessen auftreten man bei den einzelnen Ingredienzien ohne diese Mischung vergeblich erwarten würde, - solange kommt das Gewünschte nicht zustande, und so lange wird das erstrebte Ergebnis nicht erreicht, nämlich die tadelnde Charakterisierung jenes unseligen Zustandes, dass Menschen eine Sache, mit der ein erhabener Zweck und ein hoher Nutzen verbunden sind, mit sich führen, aber zugleich dieses Zweckes beraubt sind und keinen Zugang zu jenem Nutzen haben.

[6/2: Aufbau einer Vergleichung auf zwei nicht in dieser Art verknüpften Dinge]

Ein Beispiel für einen Vergleich, der auf zwei Dingen aufgebaut ist, ohne dass diese jedoch so ineinandergreifen wie beim vorigen Beispiel, bieten Ausdrücke wie „Er ist (in seiner Freundschaft) klar und er ist trübe“, „er ist bitter und er ist süß“, „er verwundet und er heilt“, „er sattelt und er zäumt.“ Wenn hier auch dem betreffenden Subjekt je zwei Eigenschaften beigelegt werden sollen, so ist doch die eine nicht mit der anderen vermischt. Wenn du sagen würdest: „Er ist klar“, ohne darauf von dem Trübesein zu reden, oder „Er ist süß“, ohne vorher zu sagen: „Er ist bitter“, so würdest du finden, dass der Sinn auf das gleiche herauskommt, als wenn du ihn mit Wasser in Bezug auf die Klarheit und mit Honig in Bezug auf die Süßigkeit vergleichst. Anders in dem Koranvers.

Sagst du: „wie ein Esel, der Bücher trägt“, ohne in Betracht zu ziehen, dass mit dem Tragen des Esels das Nichtverstehen verknüpft ist, und dass dies Nichtverstehen sich auf dasselbe Objekt bezieht wie das Tragen, so kommt der gewünschte Sinn nicht heraus. Genau so ist es, wenn du sagen würdest: „Sie sind im Nichtverstehen der Bücher wie ein Esel“, aber nicht die Bedingung hinzunähmest, dass das Tragen der Bücher mit ihrem Nichtverstehen verknüpft ist, oder wenn du nur vom Tragen und Nichtverstehen schlechthin redetest ohne beidem jenes besondere Objekt, die Bücher, zu geben, also sagen würdest: „Er ist wie ein Esel, der trägt und nicht versteht“; du würdest den im Koranvers beabsichtigten Vergleich vollkommen verfehlen. Der entscheidende Punkt liegt darin, dass für den Vergleich mit dem Büchertragen die Bedingung gilt, dass damit das Nichtverstehen verknüpft ist, während die Charakterisierung (eines Menschen in seiner Freundschaft) als klar, und der Vergleich mit dem Wasser in Bezug auf diese Klarheit nicht an die Bedingung gebunden ist, dass das Trübesein damit verknüpft sei. Wenn du daher sagen würdest: „Er ist klar und wird nicht trübe“, so würdest du dem Vergleich als solchem nichts hinzufügen, sondern nur der Eigenschaft eine längere Dauer zuschreiben, so als wenn du sagen würdest: ,,Er ist immer und unter allen Umständen klar.“

[6/3: Ähnlichkeit, die auf den Begriff selbst zurückgeht und Ähnlichkeit, bei der ein bestimmtes Objekt nötig ist]

Wisse: Wenn die Ähnlichkeit von einem Eigenschafts- (oder tätigkeits-)begriffe abgezogen wird, so kann das auf zwei Weisen geschehen. Entweder geschieht es wegen eines Momentes, das auf den Begriff selbst zurückgeht, oder wegen eines solchen, der nicht auf ihn selbst zurückgeht.

Der erste Fall wird vertreten durch den schon behandelten Vergleich einer Rede mit Honig in Bezug auf die Süßigkeit; denn das Vergleichsmoment ist dabei, dass beide in der Seele eine Lustempfindung, ein gutes Gefühl, hervorrufen und ihr angenehm sind. Das aber ist eine Funktion der Süßigkeit, sofern sie Süßigkeit, oder des Honigs, sofern er Honig ist.

Der zweite Fall, bei dem die Ähnlichkeit abgezogen wird wegen eines Momentes, das nicht auf den abgezogenen Begriff selbst zurückgeht, liegt vor, wenn z. B. ein Tun dadurch eine besondere Bestimmung erhält, dass es sich auf ein bestimmtes Objekt richtet, wie etwa, dass es dort am rechten Ort geschieht und angebracht ist, oder dass es, umgekehrt, am unrechten Ort geschieht. So sagt man z. B.: „Er ist wie einer, der Wasser greift“ und „der ins Wasser schreibt.“ Die Ähnlichkeit ist hier abgezogen von dem Verhältnis des Greifens zum Wasser, nicht vom Greifen selbst; denn der Nutzen des Greifens mit der Hand besteht darin, dass man das betreffende Objekt in die Hand bekommt; wenn dies aber keinen inneren zusammenhält hat, so ist das Greifen mit der Hand zwecklos. Ebenso ist der Zweck des Schreibens, dass auf dem betreffenden Objekt eine Spur zurückbleibt; geschieht es aber auf einem Objekt, das keine Spuren aufnimmt, so ist getan so gut als nicht getan. Von ähnlicher Art sind die Ausdrücke: „Er schlägt auf kaltes Eisen“ und: „Er bläst, aber auf keine Kohle.“

Bei allen Ähnlichkeiten dieser Art gibt es demnach zwischen dem auszudrückenden Gedanken und dem verglichenen Gegenstände, wenn er isoliert genommen wird, keinerlei Berührungspunkt. Denn bekanntlich gebrauchst du das Bild vom „Schreiben aufs Wasser“ und dem „Greifen von Wasser“ für Dinge, die mit Schreiben und Greifen allein als solchem keine Ähnlichkeit haben. Ist dies klar geworden, so wird einleuchten, dass auch das „Tragen“ in dem Koranvers von dieser Art ist. Denn die Ähnlichkeit mit den Juden, die er enthält, wird nicht durch ein Moment begründet, das auf den Begriff des Tragens selber zurückgeht, sondern durch zwei andere Momente, nämlich einmal, dass das Objekt dieses Tragens aus Büchern besteht, und sodann, dass das Nichtverstehen dieser Bücher damit verknüpft ist. Ist das aber der Fall, so wird, wenn du das Tragen von diesen beiden Momenten loslösest, der Sinn ebenso verfehlt, wie wenn du das Greifen und Schreiben vom Wasser trennst, indem es ganz und gar unmöglich wird, den beiden Handlungen den besonderen Sinn abzugewinnen, den sie durch ihre Beziehung zu dem Objekt „Wasser“ erst gewinnen.

[6:4: Einwand]

Nun sagst du vielleicht: Das Verhalten der Juden hat unter Umständen doch eine Ähnlichkeit mit dem Tragen als solchem, insofern jemand, der etwas im Gedächtnis trägt, dem ähnlich ist, der etwas auf dem Rücken trägt; redet man doch geradezu von „Trägern des Ḥadīṯ“ und „Trägern des Wissens“, wie es in dem Spruch der Überlieferung heißt: „Dieses Wissen werden tragen von jeder folgenden Generation ihre unbescholtenen“[1] und „Manch einer trägt Gesetzeskunde zu dem, der gesetzeskundiger ist als er selbst.“

Darauf ist zu antworten: Das ist wohl richtig, aber diese Ähnlichkeit ist hier nicht gemeint, sondern vielmehr das, was gerade dadurch bedingt wird, dass sich das Tragen auf das Objekt „Bücher“ erstreckt in Verknüpfung mit dem Nichtverständnis ihres Inhaltes, das ist die nutzlose Mühe. Das lässt sich noch klarer machen durch folgendes Beispiel: Man kann von einem Menschen, der beständig in seinem Ärmel wissenschaftliche Hefte trägt, aber zu dumm ist, um sie zu verstehen, oder zu träge, um daraus zu lernen, etwa sagen: „Wenn er wissenschaftliche Bücher trägt, nun, der Esel trägt ja wohl auch“, womit man seinen Anspruch, Nutzen von dem Tragen zu haben, als nichtig hinstellen und ihn in Bezug auf das nutzlose Tragen dem Esel gleichstellen will. Hier trägt der mit dem Esel verglichene tatsächlich selber, aber der Vergleich bezieht sich nicht auf das Tragen als solches, sondern, wie gesagt, auf das Fehlen des Nutzens und Gewinns. Eine Ähnlichkeit, die nur auf das Tragen als solches zurückgeht, wäre denkbar nur, wenn man etwa sagen wollte, dass ein Mann sehr viele dienstliche Pflichten zu beobachten, oder sich mit (der Bürde) aufgehäufter Geschäfte abzuplagen hat. Das liegt aber außerhalb dessen, was wir hier behandeln.

[6/5: Beispiele]

Zu unserem Kapitel gehört ferner die Redensart: „Den Bogen hat sein Schnitzer in die Hand genommen.“ Denn der Sinn dieses Satzes ist, dass das in die Handnehmen hier am rechten Platze stattgefunden hat und durch den geschehen ist, der in besonderem Maße dazu befugt ist. Der Vergleich bezieht sich nicht auf das in die Hand nehmen selbst oder dessen Gattung, sondern auf die besondere Bedeutung, die es dadurch erhält, dass es gerade durch den Schnitzer des Bogens geschieht und sich auf den Bogen erstreckt.

Ebenso ist es mit dem Ausdruck: „Er kraulte ihn immerfort an Höcker und Widerrist, (bis er gefügig wurde).“[2] Die Ähnlichkeit ist hier hergenommen von der Verbindung zwischen dem Kraulen und seinem Objekt, dem Höcker und Widerrist (des Kamelhengstes). Wenn man nur von Kraulen allein reden würde, so würde keine Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Gedanken, für den diese gleichnishafte Redensart gebraucht wird, zu finden sein. Denn man braucht diese Redensart, um ein Tun oder Reden zu bezeichnen, durch das du einen Menschen dazu bringst, seinen Widerstand aufzugeben und in etwas einzuwilligen, seine Weigerung, dir den Willen zu tun, fahren zu lassen und dir nachzugeben und zu tun, was du willst. Etwas derartiges gibt es aber nicht beim Kraulen als solchem, sondern nur, wenn es an dem Haar des Höckers und Widerristes des Kamelhengstes vorgenommen wird.

[6/6: Verknüpfung mit näherer Bestimmung anderer Art]

Wisse ferner: Das, was wir über diese Art der Ähnlichkeit gesagt haben, gilt auch dann, wenn sie statt der Verknüpfung mit dem direkten Objekt einer Verknüpfung mit einer näheren Bestimmung anderer Art entnommen wird. In dem Ausdruck: „Den Bogen hat sein Schnitzer in die Hand genommen“ ist der Bogen direktes Objekt, in der Redensart: „wie ein Schreiben auf Wasser“ und: „er ist wie einer, der ins Wasser Linien zieht“, tritt an Stelle des direkten Objekts eine präpositionale Verbindung.

Die nähere Bestimmung kann auch ein Zustandssatz sein, wie in der Redensart: Kal-ḥādī wa-laisa lahū baʻīr „Wie ein Kameltreiber, der den Treibgesang anstimmt, aber keine Kamele hat.“ Die Worte „aber keine Kamele hat“, bilden einen Zustandssatz, der für (das Zustandekommen) der Ähnlichkeit nötig ist, weil diese gerade der (Verknüpfung) zwischen dem Anstimmen des Treibgesanges und dem Inhalt jenes Zustandssatzes entnommen ist, so wie das bei „Schreiben“ und „Wasser“, „Kraulen“ und „Höcker und Widerrist“ der Fall war. Manchmal ist sowohl ein direktes Objekt als eine präpositionale Verbindung nötig; so in den Ausdrücken: „Kann man denn zwei Schwerter in einer Scheide zusammenstecken?“ und: „Du gleichst dem, der zwei Schwerter in einer Scheide zusammenstecken will.“ Hier genügt es nicht, dass das „Zusammenstecken“ „zwei Schwerter“ zum Objekt hat, es muss noch dazu kommen, dass sie „in einer Scheide“ zusammengesteckt werden sollen; all das zusammen ergibt erst den gewünschten Sinn. Hierher gehört auch die Redensart des gemeinen Mannes: „Er ist sehr schlimm gegen sein Ehegespons“ und die Redensart: „Er ist wie einer, der Wild im Dickicht des Löwen jagen will.“ Hier ist „Wild“ direktes Objekt, und „in dem Dickicht“ präpositionale Verbindung.

[6/7: An die Form des Satzes gebundene Ähnlichkeit]

Aus diesen Feststellungen ergibt sich nun, dass diese Art der Ähnlichkeit immer an die Form des Satzes gebunden ist, mag der Ausdruck nun die äußere Form eines Satzes oder nur die Funktion eines solchen haben. Die äußere Form des Satzes hat z. b. der Ausdruck: „Den Bogen hat sein Schnitzer in die Hand genommen“, die Funktion eines Satzes haben infinitivische Ausdrücke wie: „Dies ist von dir wie Schreiben im Wasser“ und: „Greifen von Wasser“, oder partizipiale wie: „wie ein ins Wasser Schreibender“ und: „wie ein Wasser Greifender“. Infinitiv und Partizipium haben zwar nicht die äußere Form von Sätzen, aber die Funktion des Satzes bleibt bei ihnen bestehen; denn man kann sie die gleiche Rektion wie das Verbum ausüben und ein Objekt ebenso regieren lassen wie dieses. Doch die Eigentümlichkeiten, welche dieser Art des Gleichnisses eigen sind, lassen sich gar nicht alle erfassen; genug, dass ich dir den Weg dazu gezeigt habe.

Das Angeführte ist einer der Gründe, derentwegen die gedankliche Ähnlichkeit aus einem Satze zu gewinnen ist, und zwar, wie ich glaube, einer der stärksten Gründe und Ursachen davon.

[6/8: Wann ein Gleichnis vorliegt]

Überhaupt musst du wissen, dass sowohl das echte (ausgeführte) Gleichnis als diejenige Art des Vergleichs, die wegen ihres Abstandes von dem normalen, ausdrücklichen Vergleich besser als Gleichnis zu bezeichnen ist, überall da vorliegen, wo der Ausdruck eines, zweier oder mehrerer Sätze bedarf. Und zwar lässt sich sagen: In je höherem Maße der Vergleich einen rein gedanklichen Charakter hat, desto stärker wird die Notwendigkeit, sich zu seinem Ausdruck der Form des Satzes zu bedienen.

Wie viele Sätze sind z. B. in dem Gleichnis des Korans (10/24) enthalten:

„Das irdische Leben gleicht einem Wasser, das Wir vom Himmel herabsandten, durch welches die Kräuter der Erde, das, was die Menschen und das, was das Vieh frisst, miteinander vermischt (aufwuchsen), bis, als die Erde ihren schmuck angelegt und sich geputzt hatte, und ihre Bewohner glaubten, sie hätten Macht über sie, Unser Befehl über sie kam, bei Nacht oder bei Tage, und Wir sie zu gemähtem Gras machten, als ob sie gestern nicht gewesen wären.“

Man kann in diesem Koranverse zehn Sätze unterscheiden; denn wenn sie auch so stark miteinander verflochten sind, dass sie wie ein Satz erscheinen, so hindert das doch nicht, dass wir es mit einzelnen Satzgebilden zu tun haben, die man eins nach dem anderen aufzeigen kann. Die Ähnlichkeit ist aber von dem Gefüge als Ganzem abgezogen; man kann nicht Satz von Satz, Kolon von Kolon trennen; und wenn du an irgend einer Stelle einen Satz ausließest, würde der Sinn des Vergleiches zerstört werden. In Fällen wie diesem darfst du nicht etwa die Sätze als einzelne, lose zusammengestellte Vergleiche und als viele selbständige Einzelgedanken rechnen, sondern musst sie als Sätze betrachten, von denen immer ein zweiter auf einen ersten, ein dritter auf einen zweiten und so fort in fester Ordnung folgt. Bei der anderen Art (dagegen) sind die Sätze nicht an eine bestimmte Reihenfolge gebunden, so dass dieser am Anfang stehen, jener ihm folgen, und der dritte nach beiden kommen müsste. Wenn du sagst: „Zaid ist wie ein Löwe an Tapferkeit, wie ein Meer an Freigebigkeit, wie ein Schwert an durchdringender Schärfe, wie der Vollmond an Glanz“, so brauchst du bei diesen Vergleichen keine bestimmte Reihenfolge einzuhalten, sondern wenn du mit dem Vollmond begännest, um die Schönheit des Betreffenden damit zu vergleichen, und den Vergleich mit dem Löwen und seiner Tapferkeit an letzter Stelle brächtest, so würde der Sinn der gleiche sein. In dem Verse:

An-našru miskun wal-wuğūhu danā = nīru wa-aṭrāfu l-akuffi ʻanam[3]

„Der Duft ist Moschus, die Gesichter (glänzend wie) Goldstücke und die Finger wir rote Mispeln“

muss man die Reihenfolge (der Vergleiche) wegen der dichterischen Form beibehalten, aber dass etwa diese Sätze so ineinandergriffen wie die in dem Koranvers, und dass sie in einer bestimmten Folge angeordnet sein müssten, so wie Dinge in bestimmter Weise angeordnet werden und dann dadurch in ihrem Gesamtgefüge eine (neue), besondere Form für sich annehmen, davon kann keine Rede sein.

[6/9: Analogie des Bedingungssatzes]

Manchmal kommen Fälle dieser Art vor, bei denen man zunächst glaubt, dass einer von zwei oder mehr Sätzen für sich allein als selbständiger Vergleich oder Gleichnis gebraucht würde; bei genauerer Betrachtung stellt sich aber dann heraus, dass das nicht der Fall ist. So ist es z. b. in dem Verse:

(La-qad aṭmaʻatnī bil-wiṣāli tabaasuman

fa-lammā sa’alnā aʻraḍat wa-tawallati)

Ka-mā abraqat qauman ʻīṭāšan ġamāmatun

fa-lammā rağauhā aqšaʻat wa-tağallati

„(Sie ließ mich mit einem Lächeln auf Liebesnähe hoffen, aber als wir darum baten, wandte sie sich ab und ging fort). / Wie wenn eine Regenwolke über durstigen Leuten blitzt, aber wenn sie auf Regen hoffen, sich zerstreut und verschwindet.“

Es ist dies ein Gleichnis, durch das ausgedrückt werden soll, wie jemandem, der einer Sache ganz dringend bedarf, gewisse Anzeichen erscheinen, dass er sie finden werde, wie sie ihm aber dann doch entgeht, und er in um so größerer Verzweiflung und Niedergeschlagenheit zurückbleibt. Hier könnte man sagen, dass die Worte: „eine Regenwolke über durstigen Leuten blitzt“ einen selbständigen Vergleich für sich darstellen, welcher des folgenden Versrestes nicht bedarf, um den gewünschten Sinn zu ergeben, nämlich dass einem Menschen gewisse Dinge Hoffnung auf das Eintreten eines von ihm dringend benötigten Geschehens machen. Das ist schon richtig, aber wir müssen ja zusehen, was der Sprecher mit seinem Vergleich zu sagen beabsichtigt. Er beabsichtigt aber, wie wir wissen, die Darstellung der Verknüpfung eines hoffnungerweckenden Anfangs mit einem darauf folgenden enttäuschenden Ende; woraus folgt, dass der erste Satz der Ergänzung durch den folgenden Rest des Verses bedarf.

Eine Analogie hierzu bietet der Bedingungssatz. Er besteht zwar aus zwei Sätzen, aber wir sagen doch, dass diese die Funktion eines einzelnen Satzes haben, indem ein in die Rede eintretender Sinn (‚der konditionale,) den einen so mit dem anderen verknüpft, dass der einzelne Satz, so wie ein einzelnes Wort, allein nichts auszusagen vermag. Sagst du: In ta’tinī „Wenn du zu mir kommst“ und brichst ab, so sagst du damit ebenso wenig etwas aus als wenn du sagen würdest: „Zaid“ und abbrächest, ohne ein anderes Nomen oder ein Verbum folgen zu lassen, und ohne dass ein solches im Sinn behalten würde und aus dem Zusammenhang zu erschließen wäre. Du kannst jedoch den Konditionalcharakter des Satzgefüges zum Verschwinden bringen, indem du sagst: ta’tinī „Du kommst zu mir“ ; dann gewinnt der Satz seine Aussagefähigkeit wieder, weil du ihn der Notwendigkeit, sich mit einem anderen zu verknüpfen, enthoben, und das Moment, welches ihn eines zweiten Satzes bedürftig machte, zum Verschwinden gebracht hast. Nur geht dabei das früher Gemeinte verloren, und der Sinn ändert sich. In entsprechender Weise wird, wenn man sich (in unserem Verse) auf den Satz: „Wie eine Regenwolke über durstigen Leuten blitzt“ beschränkt, der vom Dichter beabsichtigte Sinn verlassen.

[6/10: Einwand und Beispiel]

Wenn du nun einwendest: Dasselbe musst du dann aber auch für den Ausdruck: Huwa yaṣfū wa-yakdar „Er ist klar und er ist trübe“ gelten lassen; denn auch hier würde durch die Beschränkung auf eines der beiden Dinge die Absicht des Redenden —, der doch sagen will, dass der Mann beide Eigenschaften in sich vereinigt, und dass das Klarsein bei ihm nicht andauert, — zunichte gemacht werden, — so ist zu antworten: Es besteht zwischen den beiden Fällen ein, wenn auch etwas schwer zu bemerkender, Unterschied. In dem Verse soll dargestellt werden, dass ein Hoffnung und angenehme Empfindung erweckender Anfang auf ein enttäuschendes und beklemmendes Ende hinausläuft. Dass aber etwas Anfang eines anderen ist, welches andere das Ende darstellt, ist ein Sinn, der mehr besagt als das nebeneinander Vorhandensein zweier Dinge, und mehr als die Feststellung, dass jedes von beiden bei dem betreffenden Subjekt sich vorfindet. Mit dem Ausdruck: „Er ist klar und er ist trübe“ wird aber nichts weiter ausgesagt, als dass beide Eigenschaften nebeneinander vorhanden sind. Wenn du sagen würdest: Huwa kaṣ-ṣafwi baʻda l-kadar „Er ist wie das Klarwerden nach dem Trübesein“, so würde sich ein Gedanke ergeben, bei dem, analog dem oben angeführten Beispiel, beide Eigenschaften in Verknüpfung miteinander ausgesprochen werden müssen, damit sich der genaue Sinn, der gemeint ist, ergibt. Würdest du aber gar sagen: Yakdaru ṯumma yaṣfū „Er ist erst trübe und wird dann klar“ und das Wörtchen „dann“ einfügen, welches bewirkt, dass das zweite dem ersten nachgeordnet und das eine als Anfangs- und das andere als folgender Zustand erscheint, so würdest du vollkommen den Grad der Verknüpfung und der Bindung der Bedeutung an das ganze Gefüge erreichen, mit dem wir es hier zu tun haben, und bei einem Vergleich würde auch hier die Ähnlichkeit in der Verflechtung und dem Ineinandergreifen, nicht in der Trennung und Scheidung der beiden Dinge zu suchen sein.

Ein Beispiel, bei welchem das Gebundensein der Ähnlichkeit an das Gesamtgefüge zweier Sätze so deutlich ist, dass kein Gedanke an die Möglichkeit einer Trennung des einen von dem anderen aufkommen kann, bietet der Satz: Balaġanī annaka tuqaddimu riğlan wa-tu’aḫḫiru uḫrā, fa-iḏā atāka kitābī hāḏā fa-ʻtamid ʻalā ayyihimā ši’ta was-salām! „Ich höre, dass du einen Fuß vor- und den anderen zurücksetzest; wenn du dieses mein Schreiben erhältst, so tritt auf welchen von beiden du willst - und sei gegrüßt!“[4] Denn mit diesem Satz soll das Schwanken zwischen zwei Dingen und die Entscheidung für eines von beiden ausgedrückt werden. Ein Schwanken und ein sich Entscheiden ist aber bei einem Ding allein nicht vorstellbar. Wenn du deine Fantasie anstrengst, um dir für die Worte: „dass du einen Fuß vorsetzest“ einen Sinn und einen Aussagewert vorzustellen, ohne die Worte: „und den anderen zurücksetzest“ hinzuzufügen oder hinzuzudenken, so machst du dir vergebliche Mühe.

[6/11: Bezeichnung dieser Art als mumāṯala]

Nun sagt Abū Aḥmad al-Askarī[5], diese Art werde mumāṯala genannt. Diese Benennung lässt den Gedanken aufkommen, dass es sich um etwas anderes handele als das, was mit den Ausdrücken maṯal und tamṯīl „Gleichnis, bildlicher Ausdruck“ bezeichnet wird. Das ist aber nicht der Fall; denn man könnte sehr wohl sagen: Maṯaluka maṯalu man yuqaddimu riğlan wa-yu’aḫḫiru uḫrā „Das Gleichnis für dich ist das eines Mannes, der einen Fuß vor- und einen anderen zurücksetzt.“ Ganz entsprechend ist der Satz: „Zaid ist der Löwe“ ein echter Vergleich, obwohl die Vergleichspartikel „wie“ nicht ausdrücklich ausgesprochen ist. Ebenso ist es, wenn du sagst: „Du schreibst ins Wasser“, „Du schlägst auf kaltes Eisen“ und: „Du bläst, aber auf keine Kohle.“ Auch da lassest du durch kein sprachliches Mittel erkennen, dass du einen Vergleich aufstellst, aber man weiß, dass der Sinn derselbe ist wie wenn du sagst: „Du bist wie einer, der ins Wasser schreibt“ und „wie einer, der auf kaltes Eisen schlägt“ und „wie einer, der bläst, aber auf keine Kohle“, oder was du sonst für Sätze bilden magst, in denen der Gegenstand, mit welchem verglichen wird, ausdrücklich als Nomen eingeführt wird, dem dann die betreffenden Tätigkeiten als relativische Bestimmungen beigefügt sind.

[6/12: Gleichnisse, bei denen die Nennung des Vergleichsgegenstandes unbedingt notwendig ist]

Wisse: Manchmal wird die bildliche Sentenz (maṯal) aus Sätzen gebildet, bei denen unbedingt ein Vergleichsgegenstand vorher genannt sein muss, und wo es unmöglich ist, ihn auszulassen und sich auf die Nennung des verglichenen Gegenstandes zu beschränken und die Aussage auf ihn zu übertragen, so dass dieser letztere gleichsam der Herr des Satzes wäre, nur dass die im (Relativ)satz enthaltenen Eigenschaften und Funktionen dem (nicht genannten) Vergleichsgegenstand angehören.

Das wird klar durch den Spruch des Propheten: An-nāsu ka-ibilin mi’atin lā takādu tağidu fihā rāḥilah „Die Menschen sind wie hundert Kamele, unter denen du kaum ein (brauchbares) Reittier findest.“[6] Hier muss die Nennung des Vergleichsgegenstandes, d. i. der „Kamele“, notwendig beibehalten werden. Denn wenn du sagen wolltest: An-nāsu lā tağidu fīhim rāḥilah oder: La tağidu fī n-nāsi rāḥilah „Du findest unter den Menschen kein brauchbares Reittier“, so würde das offenbar eine recht eigenwillige Ausdrucksweise sein. Und es gibt Fälle, bei denen die Notwendigkeit, die Nennung des Gegenstandes, an den der (Relativ)satz anknüpft und auf den er sich bezieht, beizubehalten, noch viel stärker in Erscheinung tritt.

So ist es z. b. in dem Koranverse: „Das irdische Leben gleicht einem Wasser, das Wir vom Himmel herabsanden“ usw.. Wollt man hier den Vergleichsgegenstand, also das „wasser“W, weglassen und die ganze Aussage auf das Verglichene, also das „Leben“, übertragen, so käme überhaupt keine verständliche Rede zustande, weil die genannten Wirkungen, die hier vom Wasser ausgesagt werden, sich vom Leben überhaupt nicht prädizieren lassen. Diese Grundeinsicht bitte ich dich in Acht zu behalten; denn du wirst ihrer noch bedürfen, insbesondere bei der Erörterung der Metapher, die, so Gott will, weiter unten folgen wird.

[6/13: Der Vergleichsgegenstand als Relativpronomen mit folgendem Relativsatz]

Wenn nun der Satz auf den Vergleichsgegenstand folgt, so sind drei Fälle möglich. Erstens: Der Vergleichsgegenstand wird mit dem determinierten Relativpronomon (allaḏī) ausgedrückt, so dass der Satz zum (determinierten) Relativsatz wird. So, wenn man sagt: Anta llaḏī min ša’nihī kaita wa-kait „Du bist derjenige, von dem das und das zu sagen ist“. Ein Beispiel dafür ist der Koranvers: Maṯaluhum ka-maṯali llaḏī stauqada nāran fa-lammā adā’at mā ḥaulahū (ḏahaba llāhu bi-nūrihim wa-tarakahum fī ẓulumātin lā yubṣirūn), ,Das Gleichnis für sie ist derjenige, der ein Feuer anzündete, und als es erhellte, was um ihn war (, nahm Gott ihr Licht weg und ließ sie in Dunkelheit, nichts sehend)“ (2/17).

Oder zweitens: Der Vergleichsgegenstand ist ein indeterminiertes Nomen, und der folgende Satz ist ein Attributsatz (ṣifa) dazu. So, wenn wir sagen: Anta ka-rağulin min amrihi kaḏā wa-kaḏā „Du bist ein Mann, mit dem es so und so bestellt ist.“ Ein Beispiel dafür ist das Prophetenwort: „Die Menschen sind wie hundert Kamele, unter denen du kein brauchbares Reittier findest“.

Der dritte Fall ist der, bei dem der Vergleichsgegenstand ein determiniertes Nomen ist, aber kein determiniertes Relativpronomen (kein allaḏī) da ist, und der folgende Satz neu ansetzt,[7] so wie in dem Koranvers: (Maṯalu llaḏīna ttaḫaḏū min dūni llāhi auliyā’a) ka-maṯali l-ʻankabūti ttaḫaḏat baitan (wa-inna auhana l-buyūti la-bailu l-ʻankabūt) „(Das Gleichnis für die, welche andere als Gott zu Schutzherren nehmen), ist die Spinne; die macht sich ein Haus, (aber das schwächste aller Häuser ist wahrlich das Haus der Spinne)“ (29/41).

 

[1] Der Spruch geht weiter: „sie werden von ihm entfernen die Entstellung der Übertreiber, das sich Aneignen der Anhänger von Irrlehren (die sich fälschlich darauf berufen) und die (falsche) Auslegung der unwissenden.“ Der orthodoxe Muslim ist sicher, dass die von ihm vertretene Wahrheit sich immer wieder durchsetzen wird, und dass die „Gemeinde" nie in ihrer Gesamtheit in Irrtum verfallen kann.

[2] Wenn man einem widerspenstigen Kamelhengst den Nasenring anlegen will, so krault man ihn oben und vorn am Höcker, damit er zutraulich wird und den Nasenring annimmt. (Vgl. Lane 2244b.) Als Zubair der „Mutter der gläubigen“, ʻĀ’iša, solange zusetzte, bis sie einwilligte, mit ihm gegen ʻAlī in den Kampf zu ziehen, sagte man von ihm: Fa-mā zāla yaftilu fī ḏ-ḏirwati wal-gāribi ḥattā ağābathu (Ibn al-Aṯīr, Nihāya unter ġ-r-b).

[3] Beschreibung von schönen Frauen, die, bereit zum Aufbruch, in Kamelsänften sitzen, duftend, mit rotgefärbten Fingern usw. Aus dem nasīb einer der ältesten altarabischen Qasīden, die auf uns gekommen ist, und an deren Metrum man später Anstoß nahm. Dieser Dichter ist Saʻd ibn Mālik, bekannter unter seinem Beinamen al-Muraqqiš al-Akbar, dessen Lebenszeit man in den Anfang des 6. Jahrhunderts setzt. (Siehe über ihn und die sentimentale Liebesgeschichte, die an seinen Namen geknüpft ist, Br. S 1/51; Lyall in der Übersetzung der Mufaḍḍaliyāt s. 166; Rescher, Abriß 1/55—56.) — Von den Rhetorikern wird der Vers als Beispiel für die Vereinigung mehrerer Vergleiche in einem Vers angeführt, so Ṣināʻatain 189. Nach dem Talḫīṣ zerfällt diese Art des Vergleiches von mehreren dingen (tašbīh mutaʻaddid) in mehrere Unterarten. Werden erst alle verglichenen Gegenstände hintereinander angeführt und dann alle die, mit denen verglichen wird, so heißt der Vergleich malfūf, werden Verglichener und Vergleichsgegenstand je zu einem Paar vereinigt und die Paare hintereinander gestellt, so heißt er mafrūq. Zu dieser Unterart gehört unser Vers.

[4] Nach (Ğāḥiẓ, Bayān 1/200 ist der Absender dieses Briefes der Kalif Yazīd III ibn al-Walīd an-Nāqiṣ, der Adressat der spätere Kalif Marwān II ibn Muhammad al-Ḥimār. Als Yazīd III sich durch Ermordung Walīd's II (126/744) das Kalifat verschafft hatte, empörte sich Marwān, der damals Statthalter von Armenien und Aserbaidschan war, gegen ihn und rückte mit einem Heere nach Syrien vor. Als er in Ḥarrān angekommen war, verhandelte der Kalif mit ihm, er huldigte und bekam die Statthalterschaften Mesopotamien, Mosul, Armenien und Aserbaidschan. Schon im nächsten Jahre wurde Marwān selbst Kalif, als letzter Kalif des Umayyadengeschlechts. (Siehe die Historiker, s. a. 126.) Der Brief könnte im Verlauf der Verhandlungen zwischen Yazīd und Marwān geschrieben sein.

[5] Das ist al-Hasan ibn ʻAbdallah ibn Saʻīd al-ʻAskarī, gest. 382 h (Br S 1/193).

[6] Es gibt auch eine Lesart mi’atun statt mi’atin, welche von Dasūqī 2/529 an erster Stelle aufgeführt wird. Zamaḫšarī hat den Prophetenspruch in der Form: Tağidūna n-nāsa kal-ibili l-mi‘ati(u) laisat fihā rāḥilah (al-Fā’iq Haidarābād 1324, 1/234), findet aber auch den Nominativ mit Neuansatz natürlicher. Der Spruch wäre dann zu übersetzen: „Die Menschen sind wie (die) Kamele; unter Hundert findest du noch kein (brauchbares) Reittier.“ Aus der Stelle unten S. 266 scheint aber hervorzugehen, dass der Scheich mi’atin gelesen hat.

[7] Solche Sätze werden bald als Neusätze, wie hier, bald als Zustandssätze, bald, und das ist das gewöhnliche, als Attributsätze gefasst. Der Artikel, der hier die Gattung determiniert, hat nur Formale (lafẓī) Determinationskraft. (Vgl. Ḫizāna zum 55. šahīd; ar-Raḍī al-Astarābādī, Šarḥ al-Kāfiya, Istanbul 1276, 1/284, 2/122; H. Reckendorf, Arabische Syntax, Heidelberg 1921, § 200, 2-3, S. 414, Anm. 1; derselbe, Die syntaktischen Verhältnisse des Arabischen, Leiden 1898, S. 524.)

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War Imam adh-Dhahabi ein Feminist – oder wie man ein Zitat erfindet

„Es gibt viele Männer, die Hadithe fabriziert haben, jedoch wurde keine Frau in der Geschichte des Islam der Fabrikation beschuldigt. Wenn daher die intellektuelle und religiöse Integrität von irgendjemandem in Frage gestellt werden sollte, dann die von Männern. Frauen haben religiöses Wissen immer wahrheitsgemäß übermittelt.“

Dieses Zitat wird in einem Artikel von Ruggero Vimercati Sanseverino (2024), Professor für Hadith-Studien und prophetische Tradition am Zentrum für Islamische Theologie (ZITh) in Tübingen, angeführt und Imam adh-Dhahabi (1274-1348) zugeschrieben.[1] Bevor ich auf die Zuschreibung zu sprechen komme, möchte ich vergegenwärtigen, was dieses Zitat eigentlich aussagen will. Diese Aussage, die – unüberlegt gelesen – zeitgemäß und damit willkommen rüberkommt, ist eigentlich im Kern sehr problematisch. Denn hier wird explizit die Integrität eines ganzen Geschlechts, der Männer, pauschal in Frage gestellt. Präzisiert man nämlich das unbestimmte „irgendjemand“, dann müsste es heißen: „irgendein Geschlecht“. Aber warum soll die Integrität irgendeines Geschlechts in Frage gestellt werden?! Warum soll das überhaupt zur Debatte stehen? Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Auch historisch ist das sehr problematisch, denn sowohl Männer als auch Frauen sind unverzichtbare und unbestreitbare Träger der prophetischen Tradition. Irgendein Geschlecht als solches in seiner Integrität per se und pauschal in Frage zu stellen, ist sowohl rational, als auch historisch und religiös absurd und nicht vertretbar. Das Zitat klang für mich nach feministischer Ideologie und es war für mich historisch wenig plausibel, dass adh-Dhahabi exakt diese Aussage gemacht hat. Aus diesem Zweifel an der historischen Plausibilität heraus habe ich mich auf den Weg gemacht, dem vermeintlichen Zitat auf den Grund bzw. auf die Quelle zu gehen.

Sanseverino gab für das obige Zitat einen Artikel[2] von Dr. Yasmin Amin (2023) als Quelle an. Yasmin Amin beschäftigt sich in vielen Schriften mit dem Geschlechterverhältnis in der islamischen Tradition. Das Zitat findet sich in exakter Form in dem Artikel von Yasmin Amin, klar und deutlich mit Anführungszeichen adh-Dhahabi zugeschrieben. Als Quelle für das Zitat gibt sie „Al-Muhaddithat: The women scholars in Islam“[3] von Mohammad Akram Nadwi (2007), Seite XV, an. Auf der angegeben Seite fand ich jedoch weder das Zitat, noch wurde überhaupt adh-Dhahabi erwähnt. So fragte ich Yasmin Amin, ob sie mir weiterhelfen könne. Sie schrieb, dass ihr ein Fehler unterlaufen sei und das Zitat sich auf Seite 235 finden lasse. So schlug ich die entsprechende Seite auf. Da zitiert Nadwi den adh-Dhahabi wie folgt: „Al-Dhahabī says: ‚I did not know among the women anyone who has been accused [of lying] or whose ḥadīth has been left [for that]‘.“

Das obige Zitat, das bei Sanseverino und Amin angeführt wurde, findet sich so also bei Nadwi nicht. Die ursprüngliche Quelle, die Nadwi angibt und auch von Amin bestätigt wurde, enthält auch nur das, was Nadwi auf Englisch korrekt wiedergibt. In seinem Werk „Mizan al-Itidal“, das der Tradentenkritik gewidmet ist, schreibt adh-Dhahabi unter der Kapitelüberschrift über unbekannte weibliche Überlieferer lediglich: وما علمت في النساء من اتهمت، ولا من تركوها.[4] Also in etwa das, was Nadwi im Englischen wiedergab; auf Deutsch: „Ich kenne unter den Frauen keine, der Vorwürfe gemacht wurden oder über die hinweggegangen wurde.“ Ob diese Aussage absolut und allgemein gilt, oder spezifisch zu verstehen ist, ist eine Frage für sich, um die es mir hier nicht geht.

Es geht mir darum, dass einem Gelehrten aus der Vormoderne eine Aussage zugeschrieben wird, die er so nicht getätigt hat. Ich möchte Frau Amin keine absichtliche Falschzuschreibung unterstellen. Vielleicht war es ihr feministisches Paradigma, dass ihr das Zitat unbewusst ‚ausbauen‘ ließ… Ich weiß es nicht.

Wie dem auch sei, Fakt ist, dass das Zitat so zum ersten Mal bei Amin auftaucht und sich in den angegebenen Quellen nicht finden lässt. Vor der Veröffentlichung dieser Feststellung, habe ich nochmals Yasmin Amin geschrieben und ihr von der Deformierung des ursprünglichen Zitats berichtet. Dann habe ich sie gefragt: „Wo finde ich die genaue Aussage? Oder ist das auch ein Fehler?“ Darauf habe ich keine Antwort mehr bekommen. Auch den Herrn Sanseverino habe ich auf die falsche Zuschreibung aufmerksam gemacht und ihn um Klarstellung gebeten. Er bedankte sich für meine interessante Nachforschung, bestätigte, dass auch er auf der besagten Seite keine solche Aussage findet, aber sich auch nicht vorstellen kann, dass die Aussage gänzlich erfunden worden ist. Sobald er die richtige Referenz finde, würde er eine Korrektur veranlassen. Für mich unverständlich, wenn der Fehler bereits von mehreren Wissenschaftlern bestätigt wurde. Leider wurde der Fehler noch nicht korrigiert.

Wir Wissenschaftler tragen doch die Verantwortung, die Geschichte möglichst korrekt wiederzugeben. Dr. Amin selbst ging in einem Beitrag mit dem Titel „Historical Fiction, Fictionalized History or Historical Facts?“ der Frage nach „whether or not the details of the past were changed or manipulated during their recreation and recording in the name of preserving the past and setting examples and creating role-models or not“.

 

[1] https://www.islamiq.de/2024/05/25/frauen-und-maenner-im-hadith-zwischen-theologie-und-kulturkampf/

[2] Amin, Yasmin: Geschlechtergerechtigkeit im Ḥadīṯ – ein Oxymoron? In: Eine Frage des Geschlechts? Islamisch-theologische Perspektiven für eine gendergerechte Theologie der Gegenwart. Hg. Dina El Omari, Asmaa El Maaroufi, Katajun Amirpur. Baden-Baden: Ergon, 2023. S. 141-160. Das Zitat befindet sich auf Seite 154.

[3] Nadwi, Mohammad Akram: al-Muhaddithat: The women scholars in Islam. Oxford: Interface, 2007.

[4] Dhahabi: Mizan al-itidal fi naqd ar-rigal. 7. Beirut: Dar al-Kutub al-Ilmiyya, 1995. S. 465.

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Die Wurzeln des arabisch-israelischen Konflikts

Was wusste der durchschnittliche Europäer in jenen Tagen von den Arabern! So gut wie gar nichts. Voller romantischer und irriger Auffassungen kam er nach dem Nahen Osten; und wenn er geistig ehrlich und unvoreingenommen war, musste er sich bald gestehen, dass er in Wirklichkeit vom arabischen Leben keine Ahnung hatte. Mir war es ebenso ergangen. Bevor ich nach Palästina kam, hatte ich nicht einmal gewusst, dass es ein arabisches Land war. Es war mir natürlich bekannt gewesen, dass ‚auch‘ Araber dort lebten, aber ich hatte sie mir immer nur als Nomaden und idyllische Oasenbewohner vorgestellt. Da alles, was ich früher über Palästina gelesen hatte, von Zionisten geschrieben war - die ja natürlich nur ihre eigenen Interessen und Probleme vor Augen hatten -, war es mir nicht in den Sinn gekommen, dass auch die Städte voll von Arabern waren; dass tatsachlich im Jahre 1922 in Palästina fünf Araber auf einen Juden kamen und dass das Land somit weitaus mehr arabisch als jüdisch war.

Als ich dies einmal Herrn Ussyschkin gegenüber, dem damaligen Vorsitzenden des Zionistischen Aktionskomitees, zur Sprache brachte, gewann ich den Eindruck, dass die Zionisten die arabische Mehrheit der Bevölkerung keineswegs zu berücksichtigen geneigt waren, noch auch dem arabischen Widerstand gegen den Zionismus eine wesentliche Bedeutung beimaßen. Herrn Ussyschkins Antwort auf meine Frage zeigte mir seine Verachtung alles Arabischen:

»Es gibt hier keine wirkliche arabische Opposition gegen den Zionismus - das heißt, keine Bewegung, die im Volk ihre Wurzeln hatte. Was Sie als eine Opposition betrachten, ist in Wirklichkeit nichts als das Geschrei einiger missvergnügter Agitatoren. Und das wird in einigen Monaten, spätestens in ein paar Jahren, in sich zusammenbrechen.«

Dieses Argument gefiel mir gar nicht. Von allem Anfang an hatte ich die Empfindung, dass der Gedanke einer jüdischen Besiedlung Palästinas etwas Künstliches an sich hatte und den wahren Bedürfnissen des Judentums nicht entgegenkam; noch viel schlimmer jedoch war die Aussicht, dass das zionistische Unterfangen die ganze unlösbare Gesellschaftsproblematik Europas in ein Land verpflanzen würde, das ohne sie weitaus glücklicher wäre. Denn die Juden kamen ja nicht nach Palästina als ein Volk, das in sein Heimatland zurückkehrt: sie waren vielmehr entschlossen, es zu einem Heimatland zu machen - und zwar ein Heimatland nach europäischen Vorbildern und mit europäischen Zielen. Mit andern Worten, sie kamen als Fremde, als Eindringlinge her. Ich empfand es deshalb als selbstverständlich, dass die Araber den Gedanken einer jüdischen Heimstätte ihrer Mitte aufs bitterste bekämpften; sie waren ja in ihren wesentlichsten Belangen bedroht und mussten sich gegen eine solche Bedrohung zur Wehr setzen.

In der sogenannten Balfour-Deklaration von 1917, die den Juden eine nationale Heimstätte in Palästina versprach, sah ich ein grausames politisches Manöver nach dem alten Kolonialgrundsatz divide et impera. Im Falle Palästinas war dieser Grundsatz um so anstößiger, als die Engländer 1916 dem damaligen Herrscher Mekkas, Scharif Husayn, als Belohnung für seinen Aufstand gegen die Türken einen unabhängigen arabischen Staat versprochen hatten, der alle Länder zwischen dem Mittelmeer und dem Persischen Golf umschließen sollte. Sie brachen dieses Versprechen sofort: denn schon im nächsten Jahre trafen sie mit Frankreich das geheime Sykes-Picot-Abkommen, das den Franzosen die Herrschaft über Syrien und den Libanon einräumte, und verfügten durch die Balfour-Deklaration auch über Palästina, das sie den Arabern zugesagt hatten.

Wenngleich ich selber jüdischer Abstammung war, so erschien mir doch der Zionismus äußerst anstößig. Ich sah es als unmoralisch an, dass fremde Einwanderer, von einer fremden Großmacht unterstützt, mit der unverhohlenen Absicht ins Land kamen, allmählich zur Mehrheit zu gelangen und auf diese Weise ein Volk, das dieses Land seit undenklichen Zeiten besessen hatte, zu enterben. Und so geschah es auch, dass, sooft die jüdisch-arabische Frage zur Sprache kam - und das ereignete sich natürlich sehr häufig -, ich fast unwillkürlich für die Araber eintrat. Meinen jüdischen Freunden war eine solche Haltung geradezu unbegreiflich, um so mehr, als sie selber die Araber als rückständige Barbaren ansahen - ungefähr so, wie die europäischen Kolonisten in Zentralafrika die Buschneger ansehen. Sie schenkten der großen kulturellen Vergangenheit des arabischen Volkes nicht die geringste Beachtung. Es interessierte sie nicht im mindesten zu erfahren, was diese Menschen eigentlich dachten und was für Vorstellungen sie vom Leben hatten; kaum einer von ihnen gab sich die Mühe, Arabisch zu lernen; und jeder nahm ohne weiteres an, dass Palästina das rechtmäßige Erbe der Juden wäre.

Ich entsinne mich noch einer kurzen Unterhaltung, die ich über diese Frage mit Dr. Chaim Weizmann hatte, dem unbestrittenen Führer der zionistischen Bewegung. Er war gerade auf einem seiner häufigen zeitweiligen Besuche nach Palästina gekommen (sein ständiger Wohnsitz war damals, glaube ich, in London), und ich machte seine Bekanntschaft im Hause eines gemeinsamen jüdischen Freundes. Es war unmöglich, sich dem starken Eindruck zu entziehen, den die Energie dieses Mannes vermittelte – eine Energie, die sich sogar in seinen Körperbewegungen offenbarte, in dem langen, elastischen Schritt, mit welchem er rastlos im Zimmer auf und ab ging -, oder die bedeutende Geisteskraft zu verkennen, von welcher die breite Stirn und der durchdringende Blick Kunde gab.

Er sprach von den finanziellen Schwierigkeiten, die der schnellen Verwirklichung des Traums einer jüdischen Heimstatte im Wege standen, sowie auch von dem ungenügenden Widerhall, den dieser Traum im Auslande erweckte; und es befremdete mich, zu hören, dass auch er, wie die meisten anderen Zionisten, geneigt zu sein schien, die moralische Verantwortung für alles, was sich innerhalb Palästinas abspielte, der ‚Außenwelt‘ zuzuschieben. Diese Entdeckung ließ mich für den Augenblick meine Jugend vergessen (ich war kaum dreiundzwanzig Jahre alt), und mit lauter Stimme brach ich in Dr. Weizmanns Rede ein:

»Und wie steht‘s denn mit den Arabern?«

Es war kein Zweifel, ich hatte mit meiner dissonanten Frage einen faux pas begangen: allе Anwesenden hoben erstaunt und zum Teil auch missbilligend die Köpfe hoch, wahrend Dr. Weizmann sein Gesicht langsam mir zuwandte, die Tasse, die er in der Hand hielt, niedersetzte und meine Frage halb wiederholte:

»... wie es mit den Arabern steht?«

»Nun ja - was berechtigt Sie denn zu der Erwartung, dass es Ihnen gelingen wird, Palästina gegen alle arabische Opposition zu Ihrer Heimstätte zu gestalten? - denn die Araber sind ja hierzulande in der Mehrheit ...«

Der Zionistenführer zuckte mit den Achseln und antwortete trocken:

»Wahrscheinlich werden sie nicht mehr lange in der Mehrheit bleiben.«

»Kann sein. Sie haben sich mit diesem Problem seit Jahren befasst und kennen die Lage natürlich weit besser als ich. Aber ganz abgesehen von den politischen Schwierigkeiten, die der arabische Widerstand Ihnen in den Weg legen oder nicht legen wird - beunruhigt Sie denn die moralische Seite dieser Frage gar nicht? Glauben Sie nicht, es sei bitteres Unrecht, politisch und kulturell ein Volk zu verdrängen, dem dieses Land seit jeher Heimat war?«

»Aber es ist doch unsere Heimat!« versetzte Dr. Weizmann, die Augenbrauen hochhebend. »Wir erstreben ja nichts als das zurückzugewinnen, dessen man uns ungerechterweise beraubt hat.«

»Aber die Juden haben doch nahezu zweitausend Jahre nicht mehr in Palästina gelebt! Und vorher, bevor sie vertrieben wurden, herrschten sie hier kaum fünfhundert Jahre lang, und sogar damals nur über einen Teil des Landes und niemals über das ganze. Glauben Sie nicht, die Araber konnten mit derselben oder sogar einer besseren Berechtigung Spanien für sich zurückverlangen - denn sie führten ja fast siebenhundert Jahre lang das Zepter in Spanien und verloren es gänzlich erst vor fünfhundert Jahren?«

Dr. Weizmann war ersichtlich ungeduldig geworden: »Unsinn. Die Araber hatten ja Spanien nur erobert; es war ja nicht ihr Heimatland: sie waren Eindringlinge - und so war es nur recht, dass sie am Ende von den Spaniern vertrieben wurden.«

»Aber verzeihen Sie doch«, beharrte ich, »es scheint mir, Sie übersehen hier eine historische Tatsache. Wenn man‘s genau nimmt, kamen ja auch die Hebräer als Eroberer nach Palästina. Lange vor ihrem Erscheinen lebten viele andere semitische und nicht-semitische Stamme hier - die Amoriter, die Edomiter, die Philister, die Moabiter, die Hittiter. Diese Völkerschaften lösten sich doch nach der Ankunft der Hebräer nicht einfach auf, sondern blieben hier und lebten neben den Hebräern weiter. Sie lebten hier in den Tagen der Königreiche Israel und Juda. Sie lebten hier, nachdem unsere - Ihre und meine - Vorfahren von den Römern vertrieben wurden. Sie leben hier noch heute: denn sind die gegenwärtigen palästinensischen Araber in Wirklichkeit etwas anderes als Nachkommen jener amoritischen und edomitischen und moabitischen Urstämme? Маn spricht sie heutzutage als ‚Araber‘ an und vergisst dabei, dass die echten Araber, die sich in Palästina und Syrien im Gefolge der islamischen Eroberungswelle ansiedelten, immer ja nur einen kleinen Bruchteil der Bevölkerung ausmachten und dass die überwältigende Mehrzahl der sogenannten palästinensischen und syrischen ‚Araber‘ in Wirklichkeit ja nur die arabisierten Ureinwohner des Landes sind. Ein Teil von ihnen nahm im Verlaufe der Jahrhunderte den Islam an, der andere Teil blieb christlich; es war nur natürlich, dass die Muslims sich durch Heiraten weitgehend mit ihren Glaubensbrüdern aus Arabien vermischten: aber können Sie denn ernstlich in Abrede stellen, dass die Mehrheit der arabischsprechenden Palästinenser, ob Muslims oder Christen, in gerader Linie von den frühesten Bewohnern Palästinas abstammt: den frühesten, denn sie waren ja schon Jahrhunderte vor den Hebräern hier angesiedelt gewesen?«

Dr. Weizmann lächelte höflich und überlegen über meinen Ausbruch und nahm ein neues Gesprächsthema auf.

Das Ergebnis meiner Intervention verursachte mir keine Freude. Ich hatte selbstverständlich nicht erwartet, dass Dr. Weizmann oder irgendein anderer der Anwesenden mir zubilligen würde, der Zionismus sei sittlich gesehen ein fragwürdiges Unterfangen: aber ich hatte doch gehofft, dass mein Eintreten für die Araber wenigstens eine leise Beunruhigung in diese Gesellschaft hineintragen würde, die sich ja zum Teil aus den bedeutendsten Vertretern des Zionismus zusammensetzte, - eine Beunruhigung, die vielleicht zu größerer Selbstkritik und damit auch, möglicherweise, zu einer größeren Bereitwilligkeit führen konnte, dem arabischen Widerstand ein gewisses moralisches Recht zuzubilligen ... Aber nichts dergleichen hatte sich ereignet. Der erhoffte Widerhall blieb aus. Eine Mauer starrender Augen stand mir entgegen: eine scharfe Missbilligung der Impertinenz, mit der ich da gewagt hatte, das fraglose ‚Recht‘ der Juden in Frage zu stellen …

Wie war es nur möglich, wunderte ich mich, dass geistig so begabte Menschen wie die Juden den zionistisch-arabischen Widerstreit nur vom jüdischen Standpunkt aus betrachteten? Sahen sie denn gar nicht ein, dass das Problem der Juden in Palästina letzten Endes nur durch friedliche Zusammenarbeit mit den Arabern zu lösen war? Waren sie denn so hoffnungslos verblendet, nicht zu erkennen, welch eine schmerzliche Zukunft sich in ihren Plänen barg? - wieviel Kämpfe, wieviel Bitternis und Hass dem jüdischen Volke bevorstanden, wenn es solcherart ein Inselleben - und sei es zeitweilig auch noch so erfolgreich - inmitten eines Meeres feindlicher Araber führen würde?

Und wie seltsam, dachte ich mir, dass ein Volk, welches im Verlaufe seiner langen, tragischen Diaspora so viel Unrecht erlitten hatte, nunmehr bereit war, einem andern Volke elendes Unrecht anzutun - und noch dazu einem Volke, das gar keine Schuld an vergangenen jüdischen Leiden trug. Solch ein Phänomen, das wüsste ich, war der Geschichte keineswegs unbekannt; aber es machte mich dennoch über alle Maßen traurig, es mit eigenen Augen mitansehen zu müssen.

Zu jener Zeit war meine Vertiefung in die politischen Probleme Palästinas nicht mehr nur durch meine Sympathie für die Araber und meine gefühlsmäßige Ablehnung des zionistischen Experiments bedingt, sondern auch durch das Wiederaufleben meiner journalistischen Interessen: denn inzwischen war ich Sonderkorrespondent der Frankfurter Zeitung geworden. (…)

In der Zwischenzeit hatte ich mir sowohl unter den Juden als auch unter den Arabern recht viele Freunde erworben. Die Juden - das konnte natürlich nicht ausbleiben - betrachteten mich im allgemeinen mit einer Art verdutztem Misstrauen, denn meine Vorliebe für die Araber kam ja nunmehr nicht nur in gelegentlichen Gesprächen, sondern auch in meinen Beiträgen für die Frankfurter Zeitung deutlich zum Ausdruck. Offenbar konnten sie sich nicht ganz darüber klarwerden, ob ich von den Arabern ‚gekauft‘ wäre (denn im zionistischen Palästina war man seit jeher gewohnt, alles Geschehen vom geldlichen Standpunkt aus zu beurteilen) oder ob ich einfach ein wunderlicher Kauz von einem Intellektuellen wäre, der sich ins Exotische verliebt hatte. Aber nicht alle Juden, die damals in Palästina lebten, waren eben Zionisten; recht viele waren unterm Antrieb einer religiösen Sehnsucht nach dem Heiligen Lande und seinen biblischen Erinnerungen dorthin gekommen, und nicht etwa aus politisch-nationalen Gründen.

Zu dieser Gruppe gehörte mein holländischer Freund Jakob de Haan, ein kleiner, rundlicher, blondbärtiger Mann im Anfang der Vierzig, vormals Rechtsdozent an der Leydener Universität und nunmehr Sonderkorrespondent des Amsterdamer Handelsblad und des Londoner Daily Express. Ein Mann von tiefer religiöser Überzeugung - nicht weniger ‚orthodox‘ als irgendein osteuropäischer Jude -, missbilligte er den politischen Zionismus als solchen: denn er hielt daran fest, dass die Wiedererrichtung einer echten jüdischen Heimstätte im Gelobten Lande erst nach dem Kommen des Messias erfolgen könne.

»Wir Juden«, sagte er öfter, »wurden vom Heiligen Land vertrieben und über alle Welt verstreut, weil wir die Erfüllung der Aufgabe versäumten, die Gott uns aufgetragen hatte. Wir waren von Ihm auserwählt worden, Sein Wort zu predigen - aber in unserem hartnackigen Hochmut verfielen wir in den Glauben, dass Er uns nur um unseretwillen zum ‚auserwählten Volk‘ gemacht hatte: und solcherart verrieten wir Ihn. Jetzt bleibt uns nichts übrig, als Buße zu tun und unsere Herzen zu reinigen; und wenn wir eines Tages wieder würdig sind, Träger Seiner Botschaft zu sein, wird Er den Messias senden, und dieser wird die Knechte Gottes ins Gelobte Land zurückführen ...«

»Aber glauben Sie denn nicht«, fragte ich, »dass dieser messianische Gedanke auch dem Zionismus zugrunde liegt? Ich selber stimme ja diesem Gedanken nicht bei, das wissen Sie ja: aber ist es nicht jedem Volk ein natürliches Verlangen, eine eigene Heimstätte zu haben?«

Dr. de Haan sah mich mit schräggeneigtem Kopfe an: »Glauben Sie etwa, die menschliche Geschichte setzt sich nur aus einer Reihe von Zufällen zusammen! Ich glaub‘s nicht. Es war nicht ohne Sinn, dass Gott uns unser Land verlieren ließ und uns in die Welt verstreute; die Zionisten jedoch wollen dies nicht zugeben. Sie leiden eben immer noch an derselben geistigen Blindheit, die uns einst zum Sturze brachte. Aus den zweitausend Jahren der jüdischen Verbannung und des jüdischen Unglücks haben sie nichts gelernt. Anstatt den Versuch zu machen, die innersten Gründe unseres Unglücks zu begreifen, versuchen sie es jetzt, dieses Unglück gleichsam zu umgehen: sie wollen eine ‚nationale Heimstatte‘ bauen und bedienen sich hierbei abendländischer machtpolitischer Bestrebungen: und damit berauben sie ein anderes Volk seiner Heimstätte.«

Jakob de Haans Ansichten machten ihn, begreiflicherweise, höchst unbeliebt bei den Zionisten (in der Tat, kurz nachdem ich Palästina verlassen hatte, erfuhr ich zu meinem Entsetzen, dass  er in einer dunklen Nacht von Terroristen ermordet wurde). Zu der Zeit, von der ich spreche, beschränkte sich sein gesellschaftlicher Verkehr auf einige Juden seiner eigenen Gesinnung, vereinzelte Europäer und viele Araber. Den Arabern, insbesondere, neigte er sich stark zu, und diese schätzten ihn sehr hoch und luden ihn oft in ihre Häuser ein. Das war übrigens kennzeichnend für die arabische Stimmung in jenen Tagen. Jahrhunderte hindurch hatten sie die Juden mit einigem Wohlwollen als Nachbarn und Rassenverwandte betrachtet, und erst nach der Balfour-Deklaration trat ein Umschwung des Gefühls und politische Feindschaft ein. Aber noch zu Beginn der zwanziger Jahre fiel es den Arabern nicht schwer, zwischen ihren Feinden und Freunden unter den Juden zu unterscheiden.

Asad, Muhammad: Der Weg nach Mekka. Düsseldorf: Patmos, 2009. S. 120-128.

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Martin Klamroth (1873-1918) (Bibliography)

1. Ostafrikanischer Islam. In: AMZ 37 (1909), 477-493, 536-546, 569-570.

2. Beiträge zum Verständnis der religiösen Vorstellungen der Sarano im Bezirk Daressalam (Deutsch-Ostafrika). In: ZfKS 1 (1910), 37-70, 118-153, 189-223.

3. Islam. In: Korrespondenzblatt für die evangelischen Missionen Deutsch-Ostafrikas 3 (1912), ?

4. Der Islam in Deutschostafrika. Berlin: Buchhandlung der Berliner evangelischen Missionsgesellschaft, 1912.

5. Der literarische Charakter des ostafrikanischen Islams. In: WI 1 (1913), 21-31.

6. Religionsgespräch mit einem Führer der Daressalamer Mohammedaner. In: AMZ 40 Beiblatt (1913), 65-80.

Bär, Erika: Bibliographie zur deutschsprachigen Islamwissenschaft und Semitistik vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute. Bd. 3. Wiesbaden: Reichert, 1994. S. 83.

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